Studien zur zirkadianen Zeitgebung bei Depression haben uneinheitliche Ergebnisse erbracht, wobei einige Untersuchungen auf Phasenvorverlagerung und andere auf Phasenverzögerungen hindeuten. Diese Variabilität könnte auf Unterschiede bezüglich der Diagnose der Teilnehmenden, der Arzneimittelanwendung und der Methodik der einzelnen Studien zurückzuführen sein.
Die vorliegende Studie untersuchte die zirkadiane Zeitgebung bei einer Stichprobe von Frauen mit und ohne schwere unipolare Depression, die keine medikamentöse Behandlung erhielten. Die Teilnehmerinnen waren 18 – 28 Jahre alt, hatten keine Begleiterkrankungen und nahmen keine Medikamente ein. Bei acht Frauen lag eine schwere depressive Episode vor, bei neun war in der Vergangenheit eine Episode aufgetreten, und 31 waren Kontrollteilnehmerinnen ohne psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte. Nach einem mindestens einwöchigen aktigraphischen Schlaf-Monitoring wurde der Zeitpunkt der beginnenden Melatoninausschüttung im Speichel bei Dämmerlicht (salivary dim light melatonin onset, DLMO) unter Lichtbedingungen von < 1 Lux beurteilt. Bei Teilnehmerinnen mit akuter Depression trat die Melatoninausschüttung im Verhältnis zum Schlaf signifikant früher ein als bei den Kontrollprobandinnen, wobei der Effekt sehr stark streute. Eine im Verhältnis zum Schlaf frühere Melatoninausschüttung korrelierte bei allen Teilnehmerinnen darüber hinaus mit schlechterer Stimmung. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die endogene zirkadiane Phase im Vergleich zur Schlafzeit während einer schweren Depression vorverschoben ist. Dies steht im Einklang mit dem frühmorgendlichen Erwachen, das bei Depressionen häufig zu beobachten ist. Eine zirkadiane Fehlsynchronisation stellt möglicherweise einen auslösenden oder erhaltenden Faktor dar, der für eine personalisierte Behandlung schwerer depressiver Episoden gezielt genutzt werden könnte.